Die Schöpfung aus dem Nichts
Goetheanismus in Kunst und Wissenschaft
Stil Weihnachten 2022, 44. Jahrgang Heft 4
«Es braucht einen Raum zwischen dem Alten und dem Neuen, und das ist das Nichts […], in dem wir nicht wissen, wer wir sein werden, wenn wir auf der anderen Seite ankommen. Das Nichts ist nicht die Leere. Denn anders als diese arbeitet das Nichts mit, wenn wir schöpferisch tätig sind. In ihm ereignet sich etwas, das vorerst nicht sichtbar ist.» Die Autorin Marica Bodrožić beschreibt so ihren subjektiven Zugang zu dem Raum, wo Kunst wurzelt. Gerade in unserer zunehmend durch Technik und Digitalisierung bestimmten Welt stellt sich drängend die Frage nach dem Schöpferischen des Menschen. Die Frage nach der inneren Natur der Schöpfungsprozesse wird zu einer existenziellen, das tiefste Menschliche betreffenden. Die «Schöpfung aus dem Nichts» ist hier das Zünglein an der Waage, die Menschliches von Maschinellem trennt. Nicht umsonst hat Mephisto in Goethes Faust Furcht vor dem Nichts, während Faust ihm kühn antwortet: «In deinem Nichts, hoff’ ich das All zu finden». Die Schwelle des Nichts ist somit die Schwelle zur Sphäre des Geistigen.
Die vielschichtigen Beiträge dieser Ausgabe gehen mehrheitlich auf die Pfingsttagung der Sektion für Schöne Wissenschaften und Bildende Künste im Jahr 2022 zurück, die der Frage nach der «Schöpfung aus dem Nichts» gewidmet war.